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DIE GEWINNERINNEN DES SPIEGELUNGEN-PREIS 2020 STEHEN FEST!

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DIE GEWINNERINNEN DES SPIEGELUNGEN-PREIS 2020 STEHEN FEST!

Das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München (IKGS) schrieb für das Jahr 2020 den Spiegelungen-Preis für Minimalprosa auf Deutsch, Rumänisch und Ukrainisch aus.Die Resonanz auf die Ausschreibung war groß und vielstimmig. Bis zum Einsendeschluss trafen 289 Texte auf Deutsch, 79 auf Rumänisch und 201 auf Ukrainisch ein.

Die Preisverleihung findet am 23. November 2020 im Rahmen der von Meridian Czernowitz und dem Zentrum Gedankendach veranstalteten Celan-Tage in Czernowitz/Чернівці/Cernăuți statt.Es wird ein Preisgeld von je 1.500 Euro vergeben. Die von drei Fachjurys prämierten Texte werden zudem in die jeweils anderen beiden Sprachen übersetzt und in den Spiegelungen sowie weiteren renommierten Literaturzeitschriften publiziert.

Die Gewinnerinnen des Spiegelungen-Preis für Minimalprosa 2020

Natalie Buchholz (München)

© Peter-Andreas Hassiepen

Natalie Buchholz, 1977 im Elsass geboren, studierte Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis an den Universitäten Hildesheim und Marseille. Ihr Debütroman Der rote Swimmingpool erschien im Mai 2018 bei Hanser Berlin; ihr zweiter Roman wird Anfang 2021 publiziert. Mit Rumänien verbindet die Autorin einen Kindheitstraum, den sie seit ihrer ersten Hörspielkassette Der Karpatenhund hatte und den sie sich vor einigen Jahren erfüllte. Sie reiste von Siebenbürgen über die Karpaten und Bukarest bis zum Donaudelta. Eine Reise, die wegen einer Lebensmittelvergiftung zum Albtraum hätte werden können – und trotz widriger Umstände zu den intensivsten und schönsten Erinnerungen der Autorin gehört. Natalie Buchholz lebt in München.

Glück, vielleicht. Begründung der Jury

Waswa heißt Natalie Buchholzʼ Protagonist in Glück, vielleicht. Ein Tier, das durch trostloses Niemandsland streift, von einem Touristen in diese heiße Ödnis gelockt und dort ausgesetzt, von Hunger und Durst getrieben. Im Unklaren lässt uns der Text darüber, wo diese Landschaft, in der eine Plastiktüte eine zerschlissene Flagge imitiert, liegen mag: Die Vögel der Donau werden erwähnt, Kühe und das Meer. Waswa scheint sich in sein Schicksal zu ergeben – was bleibt ihm, dem hungrigen Tier, auch anderes übrig? Er „streunt weiter Richtung Westen“, durchsucht das Brachfeld mit seinen Zivilisationssplittern nach Nahrungsresten – er scheint kein Jäger zu sein; vielleicht gibt es auch gar nichts mehr zu jagen. Die heftige Anreicherung mit Sinneseindrücken bildet einen spannenden Kontrast zur literarischen Weltreduktion. Waswa nähert sich immer mehr der Schwelle zur Zivilisation, einer Bushaltestelle. Er riecht „würzigen Wind“ und „gebratene Paprika“; von weitem nimmt er die Fährte von Pizzakartons auf, doch die Verheißung entpuppt sich als „ein Gemälde aus Fett, mehr nicht“; der Wunsch nach Essen wird lediglich durch ein „Käsehaar am Rand“ erfüllt, sein Speichel tropft vergeblich zu Boden. Die List und Lösung, die sich der Leidende ausdenkt, eine Art unerfülltes Tauschgeschäft, manifestiert seine Rolle als sich unterwerfendes und gedemütigtes Tier erst recht: „Waswa holt mit dem Kopf aus, schleudert das geköpfte Plüsch vor die Füße des Wanderers. Die Männer lachen. Laut. Sie rufen nach ihm, aber sie nennen ihn nicht beim Namen.“ Der Text von Natalie Buchholz verbindet die Radikalität des Augenblicks mit der Zugkraft der erzählerischen Sequenz – Minimalprosa im besten Sinne des Wortes! Hier werden der Moment und seine sinnliche Wahrnehmung zwischen objektiver Welt und subjektiver Wirklichkeit durch den Protagonisten in den Mittelpunkt gestellt. Perspektivisch behutsam, bildlich opulent und in seinem Projektionsangebot kühn erzeugt Glück, vielleicht. eine ferne, einsame und gefährlich-karge poetische Landschaft, die zugleich sehr nah und beklemmend bekannt scheint. Programmatisch verweigert sich der Text seiner Festlegung und unterbreitet doch eine Offerte: Ein brisantes und gleichwohl faszinierendes Tauschgeschäft – auch mit dem Leser.

Mariana Codruț (Iași/Jassy)

© Cristina Hermeziu

Mariana Codruț (geboren 1956) hat die Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät der Universität „Al. I. Cuza” Iași/Jassy absolviert. Sie lebt in Iași/Jassy. Sie hat einige Gedichtbände veröffentlicht, darunter Măceșul din magazia de lemne (Der Hagebuttenstrauch im Holzschuppen, Debüt, 1982), Tabieturile nopții de vară (Sommernachtsgepflogenheiten, 1989), Existență acută (Akute Existenz, 1994), hiatus (Hiatus, 2015), pulsul nu poate fi minimalist (der puls kann nicht minimalistisch sein, 2029). Außerdem sind drei Prosabände im Verlag Polirom erschienen, darunter der Roman Casa cu storuri galbene (Das Haus mit gelben Fensterläden, 1997), dazu ein Band Publizistik, Românul imparțial (Der unparteiische Rumäne, 2011) und die Übersetzung der Arbeit von J. Piaget, Reprezentarea lumii la copil (Das Weltbild des Kindes, 2005). Ihre Bücher sind für verschiedene Preise nominiert und einige davon ausgezeichnet worden. Die Autorin fand Aufnahme in einige Anthologien (darunter: 111 cele mai frumoase poezii de dragoste din literatura română – Die schönsten Liebesgedichte der rumänischen Literatur, București 2017, Hg. Marius Chivu & Radu Vancu; Gefährliche Serpentinen. Rumänische Lyrik der Gegenwart, Berlin 1998, Hg. Dieter Schlesak; Compagne di viaggio. Racconti di donne ai tempi del comunismo – Weggefährtinnen. Erzählungen von Frauen zur Zeit des Kommunismus, Roma 2011, Hg. Radu-Pavel Gheo und Dan Lungu; Einladung nach Rumänien: Klassische und moderne Erzählungen, Berlin 2016, Hg. Elsa Lüder).

Noua zi | Der neue Tag. Begründung der Jury

In der gebotenen Kürze eröffnet der Text vor dem Hintergrund einer vermeintlichen ländlichen Idylle die Sicht auf ein historisches und ein bedrängend aktuelles Drama. Die Hausmutter versorgt im Morgengrauen das Vieh und sinnt einer Kindheitserinnerung nach: Sie hat als Mädchen erlebt, dass eine russische Offizierin am Ufer des Pruth in der Bukowina durch eine verirrte Kugel, die von den Russen, den Rumänen oder den Deutschen stammen mochte, aus ihrer stolzen Weiblichkeit gerissen wurde, und gedenkt ihrer mit bewundernder Andacht. Währenddessen vergeht sich der Hausvater mit klammheimlicher Brutalität an der Tochter. Zwei tiefe Risse durch eine Welt, in der Schwalbengezwitscher bei aufgehender Sonne und das vor Hunger ungebärdige Vieh Normalität zu beschwören scheinen, der bedrohlichen Atmosphäre aber gerade das Gewicht eines Albdrucks verleihen.

Halyna Jazenko (Lwiw/Lemberg)

© Oleh Wiwtscharyk

Halyna Jazenko, 1983 in Turka (Gebiet Lwiw/Lemberg) geboren, studierte Journalistik an der Ivan-Franko-Universität Lwiw. 2012 promovierte sie in Medienkommunikation. Sie arbeitet als Dozentin für Journalistik an der derselben Universität und forscht u. a. zur publizistischen Tätigkeit von Ivan Franko und zur Geschichte der ukrainischen Medien. Halyna Jazenko wurde bei vielen ukrainischen und internationalen Literaturwettbewerben ausgezeichnet. Sie schreibt Märchen, Gedichte und Kurzprosa. 2015 ist ihr Gedichtband „Соната любові“ („Liebessonate“) erschienen, sie ist die Koautorin einer Reihe von Kurzgeschichten: „Теплі історії. Він і вона“, „Теплі історії у стилі блюз“, „Теплі історії в конвертах“ („Warme Geschichten. Er und sie“, „Warme Blues-Musik Geschichten“, „Warme Geschichten in den Briefumschlägen“). Darüber hinaus veröffentlichte Halyna Jazenko ca. 60 wissenschaftliche Beiträge und ist Mitherausgeberin der Lehrwerke „Публіцистика Івана Франка“ („Publizistik von Iwan Franko“) sowie “Голодомор 1932–1933 років в Україні“ („Hungersnot 1932-1933 in der Ukraine“). Für ihre Lehrtätigkeit wurde sie mehrfach von der Universität und der Gebietsverwaltung Lwiw ausgezeichnet.

Вхопися, мій Хлопчику! | Halte dich fest, mein Junge! Begründung der Jury

Den Hintergrund von Halte dich fest, mein Junge! bildet die Tragödie des Holocaust, wofür Paul Celans Leben und Dichtung stehen. In einem dichten intertextuellen Gewebe, äußerst komprimiert, tauchen im Text Anspielungen an wichtige Realien aus Celans Biografie auf (Czernowitz, Ukraine, Paris, Seine, Pont Mirabeau). Durch einzelne Bilder werden Gedichte des deutschjüdischen Lyrikers angedeutet (Todesfuge, Drüben, Espenbaum, Todtnauberg, Lichtzwang). Obwohl sie nicht explizit genannt werden, sind sie kunstvoll in das Narrativ dieser Minimalprosa eingeflochten. Celansche Motive sind zugleich mit Elementen der ukrainischen Tiefenpsychologie verschmolzen, was einen symbiotischen Effekt der Verbindung ukrainischer Volkstraditionen mit Momenten jüdischer Identifikation beim Leser hervorruft. Sowohl die Erzählweise als auch die bildliche Palette sind eigenständig und originell.

Spiegelungen

Die Spiegelungen – Zeitschrift für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas beschäftigen sich in wissenschaftlichen, feuilletonistischen und literarischen Beiträgen mit dem Donau-Karpaten-Raum und dessen Wechselwirkungen mit deutschen bzw. mitteleuropäischen Kultureinflüssen, besonders in historischer, sprachlicher und kultureller Hinsicht. Viele Beiträge in den Spiegelungen thematisieren Migration und gesellschaftlichen Wandel, Grenz- und Zeitverschiebungen, fragen nach Zugehörigkeiten, (sprachlichen) Identitäten und biografischen Brüchen.

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